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Landen näher am Strömungsabriss – Hochauftrieb nutzen

 

12. Feb 2014 - 22:37 Uhr


Technik

Landen näher am Strömungsabriss – Hochauftrieb nutzen

Langsamere Anflüge führen zu weniger Lärm. Wie langsam, steil und damit leiser ein heutiges Verkehrsflugzeug seinen Zielflughafen anfliegen kann, bestimmt das sogenannte Hochauftriebssystem mit seinen ausfahrbaren Landeklappen an den Tragflächen. Noch ein Vorteil: Langsamere Flugzeuge können auf kürzeren Landebahnen aufsetzen.

Um die Vorhersage der Hochauftriebsleistung in Computermodellen und im Windkanalversuch deutlich zu verbessern und zukünftig langsameren und leiseren Anflügen den Weg zu bereiten, forscht das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) gemeinsam mit Airbus, der TU Berlin und dem Europäischen Transsonischen Windkanal ETW im Dreischritt von Flugversuchen, Windkanalversuchen und Computersimulationen.

Anfang Februar fanden im Rahmen des Projekts HINVA (High Lift Inflight Validation) bisher einmalige kryogene Windkanalversuche bei Tiefsttemperaturen im Kölner ETW statt. Mit Laser-Messmethoden und anderen fortschrittlichen Messverfahren detektierten die Forscher in bisher unerreichter Genauigkeit die Strömungszustände an einem Airbus A320 mit ausgefahrenen Landeklappen unter realen Flugbedingungen. Die Forscher haben eigens für die Versuche ein hochpräzises Windkanalmodell gebaut. Grundlage waren vorangegangene Strömungsmessungen bei Flugversuchen mit dem DLR-Forschungsflugzeug A320 ATRA.

Weltweit einmalige Forschungskonfiguration

"HINVA ist für die Weiterentwicklung heutiger Hochauftriebstechnologien ein weltweit einmaliges Forschungsprojekt", erklärt Prof. Rolf Henke, DLR-Vorstand für den Bereich Luftfahrt. "Mit dem Forschungsflugzeug A320 ATRA, dem Europäischen Transsonischen Windkanal ETW und dem DLR-Hochleistungs-Computercode TAU nutzt das DLR seine einmalige Forschungsinfrastruktur und bringt seine weltweit führenden Messmethoden zum Einsatz", so Henke weiter. Erstmals überhaupt führt das DLR in der Hochauftriebsforschung Computersimulationen mit Flug- und Windkanalversuchen an einer derart komplexen Konfiguration zusammen.

Dieser einmalige Ansatz wird vom Verbundpartner Airbus im Rahmen seiner Forschungsaktivitäten unterstützt, denn die angestrebte präzise Vorhersage der Strömungsvorgänge bei Start und Landung sind ein wesentlicher Beitrag für die Optimierung künftiger Flugzeugentwicklungen. Die Versuchsergebnisse werden für die gesamte Luftfahrtbranche eine bedeutende Rolle spielen: "Die Luftfahrtindustrie kann bei neuen Produkten detaillierter einplanen, welche Abweichungen zwischen vorhergesagten Hochauftriebsleistungen und gemessenen Werten zu erwarten sind", unterstreicht Henke. Damit erhalte die Luftfahrtforschung wertvolle Erkenntnisse, wie durch die Kombination der drei Methoden Simulation, Kryokanal und Flugversuch bei üblichen Luftfahrzeugen eine bisher unerreichte Genauigkeit in der aerodynamischen Analyse und Weiterentwicklung möglich wird.

Landeklappen und Spalten: Computer an seiner Grenze

Für die Leistungsfähigkeit eines Hochauftriebssystems spielen neben den eigentlichen Landeklappen auch die Spalte, die sich zwischen den Elementen Vorflügel, fester Hauptflügel und Hinterkantenklappe öffnen, eine wichtige Rolle. Alle Elemente müssen exakt und optimal zueinander ausgerichtet sein. Die Simulation des hochkomplexen Maximalauftriebs, der an die Grenzen des Fliegbaren reicht, ist noch immer eine große Herausforderung für heutige Computermodelle.

"Mit CFD-Simulationen (CFD, Computational Fluid Dynamics) haben wir im DLR mit dem größten Rechenzentrum für die Luftfahrtforschung in Europa (C²A²S²E, Center for Computer Applications in Aerospace Science and Engineering) große Fortschritte gemacht", sagt der Leiter des DLR-Instituts für Aerodynamik und Strömungstechnik in Braunschweig Prof. Dr.-Ing. Cord-Christian Rossow. "Für eine weitere Verbesserung der Modelle sind reale Strömungsdaten aus Flug- und Windkanalversuchen unerlässlich."

Aerodynamische Interferenzen großflächig erfassen

In dem weltweit führenden und in Europa einzigartigen Windkanal, in dem Luftfahrzeuge unter realitätstreuen Flugbedingungen getestet werden können, rückten die Forscher einem neugefertigten kryotauglichen Halbmodell des A320 mit ihren Messgeräten zu Leibe. Dabei kam eine Lasermesstechnik namens PIV (Particle Image Velocimetry) zum Einsatz. Mit dieser Technik untersuchten die Forscher detailliert Bereiche, an denen es zu Wirbelbildungen und Ablösungen kommt.

In diesen Bereichen verläuft die Strömung nicht mehr ideal und es finden komplexe aerodynamische Interferenzen statt, die letztlich die Hochauftriebsleistung begrenzen. "Mit der Lasermesstechnik PIV unserer Kollegen aus Göttingen sind wir in der Lage, die Geschwindigkeit der Strömung in den verschiedenen kritischen Bereichen der Tragfläche gleichzeitig zu erfassen", sagt der HINVA-Projektleiter Dr.-Ing. Ralf Rudnik vom DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik. "Darin liegt einer der Schlüssel zum besseren Verständnis des Auftriebszusammenbruchs". Und so ein Strömungsabriss mit Verlust des Auftriebes führt zum Absturz des Flugzeuges.

Mit PIV werden erstmalig geeignete experimentelle Strömungsfelddaten im Langsamflugbereich für den direkten Vergleich mit Flugversuchsdaten und numerischen Berechnungen bereitgestellt. Daneben kamen klassische Methoden wie Kraft- und Druckmessungen ebenso wie das moderne Stereo-Pattern Tracking (SPT) zur Deformationsmessung und ein Mikrofon-Array zur akustischen Quellbestimmung zum Einsatz.

Strömungsmessung bei -160 °C und 3,3 bar

Der ETW wurde von den vier Staaten Frankreich, Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden entwickelt und gebaut. Das DLR vertritt Deutschland als Anteilseigner. Für eine möglichst genaue Nachbildung der realen Strömungsverhältnisse eines Verkehrsflugzeuges erhöhten die Forscher den Druck im Inneren des ETW auf 3,3-fachen Atmosphärendruck und kühlten das Strömungsgas Stickstoff auf minus 160 Grad Celsius.

"1.281 Tonnen flüssigen Stickstoffs haben wir für die HINVA-Versuchsläufe in den ETW zur Verdampfung eingeleitet", berichtet der Leiter des ETW Dr.-Ing. Guido Dietz. Am ETW können Modelle unter Anströmung von bis zu 1,35-facher Schallgeschwindigkeit untersucht werden. Bei HINVA wurden aber nur Strömungsgeschwindigkeiten bis knapp unter die Marke 0,2-facher Schallgeschwindigkeit genutzt. "Rund 30 Prozent unserer Tests konzentrieren sich inzwischen auf Hochauftriebsuntersuchungen bei typischen Start- und Landegeschwindigkeiten", so Dietz weiter. "Auch bei diesen Bedingungen liefert der ETW flugrelevante Daten, die in konventionellen Windkanälen prinzipiell nicht zu erzielen sind."

ATRA bis an die Grenzen des Langsamflugs gesteuert

Für die Fertigung des hochpräzise ausgelegten Windkanalmodells eines A320 verwendeten die Forscher umfangreiche Messdaten, die sie mit dem DLR-Forschungsflugzeug A320 ATRA (Advanced Technology Research Aircraft) im Juli 2012 während einer dreiwöchigen Flugversuchskampagne bei Airbus in Toulouse sammelten. Damals statteten die Wissenschaftler in Zusammenarbeit mit der TU Berlin das Forschungsflugzeug mit mehreren hundert Sensoren aus, die über die gesamte Außenhaut verteilt wurden.

Eine Druckmessanlage mit Leichtmetallgurten auf der Backbordtragfläche und am Höhenleitwerk lieferte zuverlässige Strömungsdaten. Für die Testpiloten waren die insgesamt zehn Testflüge eine fliegerische Herausforderung, da sie in sogenannten Überziehmanövern immer wieder die aerodynamischen Grenzen des Flugzeugs im Langsamflug ansteuerten. Die Gefahr dabei ist, die Mindestfluggeschwindigkeit zu unterschreiten – es kann zum Strömungsabriss (Stall) kommen, und das Flugzeug fällt wie ein Stein zu Boden.

Im Herbst 2014 ist eine zweite Flugkampagne mit dem DLR-ATRA geplant. Dabei sollen im Flugversuch an Tragflächen und Klappen Strömungsgeschwindigkeiten gemessen werden, wobei auch ein wichtiger Schritt zur erstmaligen direkten Anwendung der PIV-Lasermesstechnik an Verkehrsflugzeugen geplant ist. Zukünftig hat die Kombination aus CFD-Simulation, Windkanalversuch und Flugversuch das Potential, auch die Widerstandswerte bei hohen Geschwindigkeiten im Reiseflug deutlich genauer vorherzusagen.

Die Bilder zeigen das Windkanalmodell im ETW, den Europäischen Transsonischen Windkanal (ETW) in Köln, Simulation der Strömungsvorgänge im Langsamflug und eine Tragfläche des ATRA im Messflug.

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