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Cessna stürzte in Berg – Einflug in Wolkenuntergrenze

 

16. Feb 2014 - 00:10 Uhr


Flugsicherheit

Cessna stürzte in Berg – Einflug in Wolkenuntergrenze

Das Flugzeug startete um 12:23 Uhr1 mit zwei Personen an Bord auf der Piste 31 in St. Johann (LOIJ) zu einem Flug nach Michelstadt (EDFO). Bei Kufstein wurde in 4.500 ft AMSL das Inntal erreicht und der Flug entlang des Tals in nördliche Richtung fortgesetzt. Die Aufzeichnung der Radarspur der Cessna endete um 12:41 Uhr nach einer Flugzeit von 18 Minuten westlich der Ortschaft Brannenburg.

Identifikation

  • Art des Ereignisses: Unfall
  • Datum: 02. Oktober 2009
  • Ort: Brannenburg
  • Luftfahrzeug: Flugzeug
  • Hersteller / Muster: Reims Aviation / Cessna F 172 N
  • Personenschaden: Pilot und Fluggast tödlich verletzt
  • Sachschaden: Luftfahrzeug zerstört
  • Drittschaden: Forstschaden

Sachverhalt

Weitere Ereignisse und Flugverlauf

Der Pilot und sein Fluggast waren seit dem 28. September in St. Johann und wollten zu Ihrem Heimatflugplatz zurückfliegen. Der Abflug erfolgte nach Westen über die Streckenführung "Elmau" südlich des Wilden Kaisers in Richtung Kufstein. Ab Kufstein hatte die Radaranlage München das Flugzeug als Primärziel erfasst.

Nachdem das Flugzeug nicht wie geplant am Zielflugplatz eintraf, wurde es als vermisst gemeldet. Ein Hubschrauber des Such- und Rettungsdienstes (SAR) ortete in der darauf folgenden Nacht das Signal eines Notsenders (ELT) im östlichen Hanggebiet des bewaldeten Sulzberges. Um 23:41 Uhr fanden Rettungskräfte das Wrack der Cessna in einer Höhe von ca. 3.500 ft zwischen Bäumen verkeilt im unwegsamen Gelände. Bei dem Aufprall wurden beide Insassen tödlich verletzt und das Luftfahrzeug zerstört. Abb. 2 zeigt Flugweg und Unfallstelle.

Angaben zu Personen

Der verantwortliche Luftfahrzeugführer war 70 Jahre alt und im Besitz eines Luftfahrerscheins für Privatpiloten PPL (A), erstmals ausgestellt am 22.06.1977. In die bis zum 18.05.2010 gültige ICAO-Lizenz war die Berechtigung als verantwortlicher Pilot (PIC) für einmotorige Flugzeuge mit Kolbentriebwerk (SEP land) eingetragen. Die Klassenberechtigung war bis zum 26.05.2011 gültig.

Weiterhin war er Inhaber eines Luftfahrerscheins für Segelflugzeugführer, erstmals ausgestellt am 18.05.2005. Die unbefristet gültige Lizenz enthielt die Berechtigungen für Segelflugzeuge, Segelflugzeuge mit Hilfsantrieb und Reisemotorsegler. Das Tauglichkeitszeugnis Klasse 2 war bis zum 28.05.2010 gültig. Es enthielt die Auflage eine korrigierende Sehhilfe zu tragen und eine entsprechende Ersatzbrille (VML) mitzuführen.

Aus einem an Bord mitgeführten persönlichen Flugbuch ging hervor, dass er seit dem 24.05.1989 338 Stunden geflogen war, davon 102 Stunden mit 125 Landungen auf dem Muster Cessna F 172. Das Flugbuch wies innerhalb der letzten 90 Tage 4:53 Stunden und sieben Landungen auf. Angaben zur Gesamtflugzeit lagen nicht vor.

Angaben zum Luftfahrzeug

Die im Jahr 1977 von Reims Aviation, Frankreich, in Lizenz gebaute Cessna F 172 N mit der Werknummer 1604, war ein einmotoriger viersitziger Hochdecker in Metallbauweise mit festem Fahrwerk. Das Flugzeug war mit dem 160 HP starken Lycoming-Triebwerk O-320 H2AD sowie mit zwei Langstreckentanks ausgerüstet. Diese hatten ein Fassungsvermögen von 204 Litern.

Das Flugzeug befand sich in privater Halterschaft und hatte eine Gesamtbetriebszeit von 4.780 Stunden. Seit der letzten Jahresnachprüfung am 28.08.2009 war es 23 Stunden geflogen worden. Der Schwerpunkt befand sich innerhalb der zulässigen Grenzen. Das aktuelle Fluggewicht lag mit 1.014 kg etwa 29 kg unter der Höchstabflugmasse. Die Abb. 1 zeigt die Cessna 172 N vor dem Abflug in St. Johann. Das Foto war privat vom Fluggast aufgenommen.

Meteorologische Informationen

Nach Auskunft des Deutschen Wetterdienstes (DWD) war der verunfallte Luftfahrzeugführer kein Kunde des "Self-Briefing-System pc-met". Eine individuelle Wetterberatung sei am 02.10.2009 für das Kennzeichen des verunfallten Luftfahrzeuges nicht erfolgt. Der DWD gab an, dass am Unfalltag die Kaltfront eines über Russland liegenden Tiefdruckgebietes das Wetter über dem Alpenraum mit verbreiteter Stratusbewölkung bestimmte.

Die Wettermeldestellen im 537 m hoch gelegenen Chieming und im 424 m hohen Salzburg meldeten gegen 11:00 Uhr horizontale Sichtweiten am Boden von 10 km und mehr, während die Meldestelle auf dem 1.838 m hohen Wendelstein in Wolken lag und hier eine Sicht von 100 m herrschte.

Nach den vorliegenden weiteren Daten lag die Untergrenze der geschlossenen Bewölkung im Bereich des Flugweges oberhalb 3.600 ft AMSL. Darunter gab es Wolkenfetzen mit einem Bedeckungsgrad von bis zu vier Achteln in 2.700 bis 3.000 ft. Laut DWD lagen die höheren Berge zeitweise in Wolken.

Niedrigere Wolkenuntergrenzen am Alpenrand

Für den nördlichen Alpenrand waren zeitweise niedrigere Wolkenuntergrenzen als für die Alpentäler angegeben. Abb. 3 zeigt die Wettersituation im Inntal, bei Kufstein (oben) und ca. sechs Minuten vor dem Unfall (unten). Der Grad der Bedeckung lag im Nordstau der Alpen über vier Achtel.

Die Wetterbedingungen während des Fluges wurden durch eine Reihe von Digitalfotos dokumentiert, die der Fluggast vom rechten Sitz aus aufgenommen hatte. Auf den Bildern ist zu erkennen, dass die Basis der Bewölkung im Bereich zwischen Elmau und Oberaudorf bei einem Bedeckungsgrad von sechs Achtel in 2.000 ft über der Talsohle lag.

Vereinzelt traten Stratusfetzen entlang der bewaldeten Berghänge auch in geringerer Höhe auf. Alle höheren Berggipfel lagen in Wolken. Im Nordstau der Alpen war in Richtung des Innverlaufs eine weiter absinkende Basis erkennbar.

Funkverkehr

Beim Abflug in St. Johann bestand eine Funkverbindung zur dortigen Flugleitung. Der Funkverkehr wurde nicht aufgezeichnet.

Flugdatenaufzeichnung

Der Transponder der Cessna war auf dem Flug ausgeschaltet. Die Aufzeichnung einer Sekundärradarspur war dadurch nicht möglich. Der letzte Teil des Flugweges konnte jedoch ab Erfassung durch die Münchner Radarantenne als Primärspur aufgezeichnet werden.

Die Flugspur zeigt, dass die Cessna von Süden kommend das Inntal nach Passieren der Landesgrenze im Bereich der Ortschaft Brannenburg in Richtung 315 Grad nach Nordwesten verlassen hatte. Der Steuerkurs wurde bis zum Aufprall beibehalten.

Unfallstelle und Feststellungen am Luftfahrzeug

Die 25 Meter lange und 12 Meter breite Unfallstelle war rund 1.200 Meter westlich der Ortschaft Brannenburg. Sie befand sich an einem bewaldeten, rund 45 Grad geneigten Hang ca. 35 Meter unterhalb der Spitze des 1.117 Meter hohen Sulzberg. Die Baumwipfel waren auf einer Länge von zwei Metern mit der Ausrichtung 265 Grad gekappt. Dünnere Bäume und Äste wurden durchtrennt vorgefunden.

Der Rumpf wurde aufgerissen und gestaucht. Er war einen Meter hinter dem Gepäckraum abgeknickt und verdreht. Das Leitwerk war abgeknickt. Der Motorträger war auf der rechten Seite eingeknickt und links abgerissen. Ein Propellerblatt war nach hinten und die Kurbelwelle nach rechts verbogen.

Die gesamte rechte Tragfläche einschließlich der Strebe war vom Rumpf abgetrennt und über die gesamte Länge gestaucht. Die linke Tragfläche war 1,90 m vom Rumpf abgetrennt und verformt. Die Flächentanks waren aufgerissen und enthielten bis auf eine Restmenge von fünf Litern keinen Kraftstoff.

Einzelteile von Rumpf, Tragflächen und Leitwerk waren über die gesamte Unfallstelle verstreut und hingen teilweise im Geäst der Bäume. Alle Teile des Flugzeuges wurden an der Unfallstelle vollzählig vorgefunden. Hauptschalter, Positionslichter, Zusammenstoßwarnleuchte, Generator und Sicherungen wurden eingeschaltet vorgefunden. Ein Funkgerät war eingeschaltet und auf die Frequenz des Abflugortes St. Johann gerastet. Abb. 4 und 5 zeigen die Unfallstelle und ausgelegte Cessna mit Eindellungen an linker Tragfläche und Strebe.

Die übrigen Funk- und Navigationsgeräte sowie der Transponder Mode S waren nicht eingeschaltet. Der Leistungshebel stand auf "voll reich", die Zündung auf "beide", die Vergaservorwärmung auf "kalt" und der Drehzahlmesser auf 2.550 Umdrehungen pro Minute.

Kein Hinweis auf technische Mängel

Der Höhenmesser zeigte 3.150 ft, das Variometer 50 ft Steigen und der Kurskreisel 300 Grad an. Der Wendezeiger bildete eine Drehung links und der Künstliche Horizont einen Steigflug links mit ca. 60 Grad Schräglage ab. Die Landeklappen befanden sich in eingefahrener Position. Der Autopilot war nicht aktiviert. Hinweise auf technische Mängel an Triebwerk und Steuerung ergaben sich bei der Untersuchung nicht.

Es wurde eine ICAO-Karte gefunden, auf der eine gerade Kurslinie zwischen St. Johann und der Ortschaft Peiss, südöstlich von München, eingezeichnet war. Das Segelfluggelände Brannenburg am Nordrand der Alpen lag auf dieser Linie. Es wurde ferner ein Ausdruck mit einer Internet-Wettervorhersage gefunden, die den Zeitraum vom 28.09.13 bis zum 02.10.13 umfasste. Aktuelle Wettervorhersagen und andere schriftliche Aufzeichnungen oder Flugvorbereitungsunterlagen wurden nicht gefunden.

An der Unfallstelle befand sich eine Digitalkamera, welche Aufnahmen enthielt, die vor dem Flug und während des Fluges durch den Fluggast vom rechten Sitz aus gemacht wurden. Die Aufnahmen dokumentieren die Wetterbedingungen beim Abflug in St. Johann und während des Fluges. Ferner stellt ein Foto die Situation im Cockpit hinsichtlich der Steuerführung der Cessna dar. Auf dem Foto umfasst der Luftfahrzeugführer das Steuerhorn mit beiden zu Fäusten geballten Händen.

Medizinische und pathologische Angaben

Die tödlich verletzten Insassen wurden obduziert. Nach den Diagnosen verstarben beide Insassen infolge schwerer Polytraumata. Außer den festgestellten Verletzungen ergab die Sektion des Flugzeugführers Hinweise auf altersbedingte Veränderungen an Blutgefäßen und inneren Organen, die seit Längerem schon auf eine Herzmuskelschwäche hindeuteten.

Diese Befunde waren nach Ansicht der Rechtsmedizin geeignet, Führungsabläufe am Steuer eines Flugzeugs zu beeinflussen. Alkoholbestimmungen aus Oberschenkelvenenblut und Urin ergaben beim Piloten Werte von 0,00 Promille. Beim Fluggast wiesen die Alkoholproben Mittelwerte von 2,30 bzw. 2,95 Promille auf.

Nach Einschätzung der medizinischen Gutachter lag somit eine Blutalkoholkonzentration vor, die Einfluss auf das Geschehen an Bord gehabt haben könnte. Die Ergebnisse durchgeführter Kohlenmonoxid-Untersuchungen an beiden Insassen waren negativ.

Überlebensaspekte

Aufgrund der hohen Aufprallenergie war der Unfall für beide Insassen nicht überlebbar.

Brand

Es entstand kein Brand.

Zusätzliche Informationen

Die Besatzung der Cessna F 172 N war am 28.09.2009 in zwei Stunden und zehn Minuten von Michelstadt (EDFO) nach Kufstein (LOIK) geflogen. Die Landung am Zielort erfolgte um 11:50 UTC. Um 14:00 Uhr des gleichen Tages wurde der Flug nach St. Johann fortgesetzt. Die Cessna landete dort nach einer Flugzeit von 50 Minuten um 15:20 UTC. Die beiden Flugplätze liegen ca. 25 Kilometer voneinander entfernt.

Gegenüber dem Betriebsleiter von St. Johann gab der Luftfahrzeugführer an, den Flugplatz nicht direkt gefunden zu haben, da er lange Zeit nicht im Gebirge geflogen sei. Vom 28.09.13 bis zum 02.10.2013 war die Cessna in St. Johann abgestellt, weitere Flüge fanden nicht statt. Vor dem Abflug wurde die Cessna in St. Johann mit 83 Liter Avgas vollgetankt.

Beurteilung

Der verantwortliche Luftfahrzeugführer hatte alle vorgeschriebenen Erlaubnisse und Berechtigungen, um den Flug durchzuführen. Mit mindestens 338 Flugstunden auf Flugzeugen galt er als erfahrener Pilot. Eine ausreichende Flugerfahrung auf der Cessna 172 war mit über 100 Stunden Flugzeit ebenfalls gegeben.

Allerdings verfügte der Luftfahrzeugführer nach seinen eigenen Angaben über keine aktuelle Flugerfahrung im Gebirge. Das Luftfahrzeug war ordnungsgemäß zum Verkehr zugelassen und nachgeprüft.

Die vorliegenden Fakten sprechen für folgenden Ablauf des Unfallgeschehens: Nach dem Start verließ die Cessna St. Johann an der Südflanke des Gebirgsmassives "Wilder Kaiser" in westliche Richtung. Mit Erreichen des Inntals erfolgte eine Kursänderung nach Norden innerhalb des Inntals.

Die vom Fluggast erstellten Digitalfotos zeigen, dass die Flugsicht im Inntal mehrere Kilometer betragen hatte und die Gipfel sowie die beidseitigen Hanglagen in Wolken gehüllt waren.

Nach Passieren der Grenze zu Deutschland, nördlich von Kufstein im Bereich der Ortschaft Brannenburg, erfolgte eine Kursänderung nach links mit einem Steuerkurs von ca. 315 Grad. Dieser Flugweg und die Unfallstelle sind in Abb. 6 und 7 eingezeichnet. Der Kurs entsprach genau dem Eintrag der Kurslinie in der ICAO-Karte, die am Unfallort gefunden wurde.

Nördlich von Brannenburg beginnt das Alpenvorland mit einem signifikant niedrigeren Relief. Es ist davon auszugehen, dass der Luftfahrzeugführer mit Einleiten der Kursänderung im Glauben war, den Alpenraum verlassen und nunmehr ein deutlich niedrigeres Terrain vor sich zu haben.

Der vorausliegende 1.117 m hohe Sulzberg, an dessen Ostflanke die Cessna nur ca. eine Minute nach der Kursänderung aufschlug, wurde dabei entweder nicht beachtet oder der Pilot wähnte das höhere Gelände links bzw. südlich des geflogenen Kurses.

Es ist davon auszugehen dass der Bereich der Absturzstelle in Wolken lag. Warum der Luftfahrzeugführer in den letzten Sekunden vor dem Unfall eine Linkskurve einleitete, kann nicht zu 100 Prozent nachvollzogen werden.

Die vom DWD vorhergesagte und durch die letzte Aufnahme des Fluggastes dokumentierte abgesunkene Wolkenbasis im Nordstau der Alpen, könnte ein Einfliegen der Cessna in die Wolken ggf. im Zuge einer Reduzierung der Flughöhe bzw. einer Ausweichbewegung von Wolken (-fetzen) nach links zur Folge gehabt haben.

Die Frage, inwieweit die gesundheitliche Disposition des Luftfahrzeugführers die Entscheidungsfindung in der letzten Flugphase beeinflusst haben könnte, lässt sich nicht zweifelsfrei beantworten.

Ob der alkoholisierte Fluggast die Entscheidungsfindung des Flugzeugführers zum Flugverlauf in der letzten Phase vor der Kollision mit dem Terrain direkt oder indirekt mit beeinflusst haben könnte, muss ebenfalls offenbleiben.

Schlussfolgerungen

Der Unfall ist darauf zurückzuführen, dass der Flugzeugführer die Reiseflughöhe bei einer absinkenden Wolkenuntergrenze nicht ausreichend bzw. nicht rechtszeitig reduzierte und nach Einflug in Wolken mit dem Gelände kollidierte.

Neben den marginalen Wetterbedingungen im Alpenraum und insbesondere im Nordstau der Alpen sind als beitragende Faktoren für den Unfall eine mutmaßlich mangelhafte Flugvorbereitung und Wetterberatung anzunehmen. Hinzu kommen die fehlende Ortskenntnis und eine geringe Flugerfahrung im Hochgebirge.

1. Alle angegebenen Zeiten, soweit nicht anders bezeichnet, entsprechen Ortszeit.

Quelle und Bilder: BFU / Google EarthTM

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