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Null Gravitation für sechs Minuten

 

22. Feb 2018 - 11:25 Uhr


Info und News

Null Gravitation für sechs Minuten

247,6 Kilometer Höhe und mehr als sechs Minuten Schwerelosigkeit erreichte die zweistufige Forschungsrakete MAPHEUS-7, die das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) am 17. Februar 2018 um 08:00 Uhr vom Raketenstartplatz ESRANGE startete.


365 Kilogramm Nutzlast beförderte die Höhenforschungsrakete dabei auf eine suborbitale Flugbahn: Auf MAPHEUS-7 waren neben einem Wiederflug des Röntgenradiographiemoduls X-RISE (X-Ray Investigation in Space Environment) und dem Zellmembranexperimentmodul MemEx (Membran Experiment) drei vollständig neu entwickelte Module und ein Strahlungsmessgerät als Mitflieger in MemEx an Board. Im Experiment GraScha (Granularer Schall) wurde die Schallübertragung in granularen Packungen untersucht.


Schwerelosigkeit für Experimente


Das Experimentmodul RAMSES (Random-Motion of Micro-Swimmers Experiment in Space) untersuchte das dreidimensionale Clusterverhalten von phototaktisch getriebenen Teilchen in der Schwerelosigkeit. Im Bereich Gravitationsbiologie stand auf MAPHEUS mit dem Modul CELLFIX erstmals ein Experiment zur Untersuchung des Einflusses der Schwerkraft auf Stammzellen und Neuronen zur Verfügung. Ein weiteres Experiment untersuchte die Intensität der Höhenstrahlung während des Aufstiegs und Flugs von MAPHEUS.


Aber neben der erfolgreichen Durchführung der sechs Mikrogravitationsexperimente an Bord war auch die Qualifikation des neu entwickelten Trägersystems S31-Improved Malemute Missionsziel, das erhöhte Anforderungen an die Widerstandsfähigkeit der Nutzlast gegen Beschleunigungen stellte. Die Nutzlast wurde nach ihrem Flug durch die Schwerelosigkeit von einem Fallschirmsystem gebremst und am 19. Februar 2018 erfolgreich geborgen. Die aufgezeichneten Experimentdaten werden in den nächsten Wochen ausgewertet.


Strukturen der Erstarrung


Im Experiment X-RISE wurde in zwei Isothermalöfen die Erstarrung von Aluminium-Kupfer-Legierungen, einer Basis für Aluminium-Gusslegierungen, untersucht. Durch die Echtzeitbeobachtung des Erstarrungsvorgangs mittels Röntgenstrahlung kann das Wachstum von kristallinen Strukturen abgebildet werden.


"Von diesen Experimenten ohne zusätzliche, durch die Schwerkraft verursachte Strömung versprechen wir uns wichtige Benchmark-Experimente für die Überprüfung von Modellen für die Erstarrung von Legierungen", sagt Prof. Florian Kargl vom DLR-Institut für Materialphysik im Weltraum. Die gewonnenen Daten aus der Schwerelosigkeit werden mit Modellrechnungen und Daten aus dem irdischen Labor verglichen. Diese Ergebnisse können unter anderem dazu beitragen, in der Industrie Gussprozesse zu optimieren.


Schallausbreitung in granularen Packungen


Das Experiment GraScha untersuchte die Schallausbreitung in Granulaten bei sehr niedrigen Packungsdrücken und bei sehr kleinen bis mittleren Schallamplituden. Die Experimentdurchführung in Mikrogravitation ermöglicht dabei eine Messung in der Packung frei von Druckgradienten. Als Granulat dienen Glaskugeln mit einer monodispersen Radienverteilung.


"Ziel der Untersuchung ist die Bestimmung des Überganges von linearer Schall- zur nichtlinearen Schallausbreitung. Dabei wird bei den niedrigen Drücken in Schwerelosigkeit eine sehr kleine Schallgeschwindigkeit beobachtet, die schon bei vergleichsweise kleineren Schall-A mplituden als am Boden nichtlineare Charakteristiken zeigt", sagt Prof. Matthias Sperl vom DLR-Institut für Materialphysik im Weltraum. Die Ergebnisse des Raketenfluges werden mit den Resultaten am Boden sowie mit theoretischen Modellierungen verglichen. Erkenntnisse aus den Messungen sollen eingehen in ein besseres Verständnis von Granulaten beim Verlust ihrer mechanischen Stabilität und in eine verbesserte Modellierung von Schallausbreitung in granularen Medien auch auf der Erde.


Dreidimensionale Bewegung von Mikroschwimmern


Im Experiment RAMSES werden in insgesamt zehn voneinander unabhängigen Probenzellen in zwei kurz vor dem Start integrierten Drucktanks Lösungen mit aktiven Mikroschwimmern untersucht. Die Herausforderung von technischer Seite ist es, während des Raketenaufstiegs ein Sedimentieren der Partikel in der Hyper-Gravitationsphase zu verhindern. Die kugelförmigen Partikel werden über einen lokal auf der durch Laserlicht aufgeheizten Seite stattfindenden Entmischungsvorgang in der umgebenden Lösung systematisch vorangetrieben.


"Über die gemessene transmittierte Licht-Intensität können wichtige Erkenntnisse über die kollektive Dynamik dieser Mikroschwimmer und damit grundlegende Daten für das Verhalten biophysikalischer Systeme und zur Überprüfung von Nichtgleichgewichtstheorien gewonnen werden", sagt Prof. Thomas Voigtmann vom DLR-Institut für Materialphysik im Weltraum. Das Experiment RAMSES ist dabei in enger Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Clemens Bechinger vom Fachbereich Physik der Universität Konstanz entstanden, an dessen Lehrstuhl das Probensystem entwickelt wurde.


Durchlässigkeit von Biomembranen


Das Experiment MemEx rückt biophysikalische Veränderungen von Zellmembranen in der Schwerelosigkeit in den Fokus. Untersuchungsobjekt sind künstlich hergestellte Lipidmembranen, die wie die Biomembran von Zellen aus einer Lipiddoppelschicht bestehen. "In der Doppelschicht sind Lipide und Proteine frei beweglich", sagt Dr. Jens Hauslage vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin. In MemEx wurde dieses Mal der Einbau von Ibuprofen in künstliche Vesikel untersucht, da schon im Vorfeld bekannt ist, das sich Medikamente in Schwerelosigkeit verändert in biologischen Membranen einbauen und wirken. "Bereits vorausgegangene Experimente bei 22 Sekunden Schwerelosigkeit im Parabelflug gaben uns erste Anhaltspunkte, dass sich die Fluidität von Biomembranen in der Schwerelosigkeit ändert. Jetzt sind wir gespannt auf die Auswertung der Proben, mit der wir direkt nach der Bergung von MAPHEUS-7 beginnen."


Genexpression von Stammzellen und Nervenzellen


Das Experiment CellFix ist ein Modul zur Fixierung von biologischen Proben, in diesem Fall von Stammzellen und neuronalen Zellen. Um gravitationsabhängige Veränderungen in der Genexpression aufzudecken, werden zwei verschiedene Zelltypen während des Fluges chemisch fixiert. Hierbei werden die Zellen jeweils nach der Startphase unter erhöhter Gravitations (Hyper-G) und nach der Phase der Schwerelosigkeit (Mikrogravitation) chemisch fixiert, um sie nach der Bergung der Nutzlast für aufwendige Analysen aufzubereiten.


Das Experiment "AstroProteomics" der Abteilung Gravitationsbiologie des DLR-Institutes für Luft- und Raumfahrtmedizin befasst sich mit der Adaptation der Proteinexpression von neuronalen Zellen, den so genannten Astrozyten. "Astrozyten sind die Zellen im Gehirn und Rückenmark, die maßgeblich an der neuronalen Narbenbildung in Folge von Verletzungen des Nervensystems involviert sind – deren Anpassungen auf Protein-Ebene (Proteom) nach dem Einfluss von Hyper- und Mikrogravitation werden mit diesem Experiment erstmalig untersucht", erläutern Dr. Sonja Brungs und Dr. Christian Liemersdorf vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin.


Die Analyse der gewonnenen Proben soll Einblicke in schnelle Anpassungen der Genexpression durch den Einfluss der veränderten Gravitationsbedingungen liefern. Erste Ergebnisse erhielten die Forscher mit einer Parabalflugkampagne, bei der die Proben 22-sekündiger Schwerelosigkeit ausgesetzt werden. Durch die deutlich längere Phase der Schwerelosigkeit während des MAPHEUS-Fluges ermöglichen sich den Wissenschaftlern tiefergehende Erkenntnisse über die spontane Differenzierung von Stammzellen unter Mikrogravitationsbedingungen.


Rakete MAPHEUS


Das MAPHEUS-Höhenforschungsprogramm (MAterialPHysikalische Experimente Unter Schwerelosigkeit) läuft seit zehn Jahren. Der jährliche Flug, vorbereitet und durchgeführt durch die Abteilung Mobile Raketenbasis (MORABA) des DLR, ermöglicht den Wissenschaftlern einen unabhängigen und regelmäßigen Zugang zu Experimenten in Schwerelosigkeit. Dabei gehen in diesem Programm Fortschritte in Messtechniken und die Realisierung hochentwickelter Flughardware Hand in Hand mit richtungsweisenden Experimenten im Bereich der Eigenschaften metallischer Flüssigkeiten und deren Erstarrung sowie der Dynamik ungeordneter Systeme und der Schwerkraftwahrnehmung biologischer Systeme.


Trägersystem für Physik und Biologie


Die Abteilung MORABA (Mobile Raketenbasis) des DLR, die die Raketenflüge im MAPHEUS-Programm plant und durchführt, setzt mit dem erfolgreichen Flug von MAPHEUS-7 die Erweiterung ihrer zweistufigen Trägersystemfamilie um die Kombination S31 – Improved Malemute um. Die aus militärischen Altbeständen überlassene Raketenstufe Improved Malemute wurde dabei so angepasst, dass sie den Erfordernissen einer Zweitstufe auf einem Forschungsraketenträger gerecht wird.


"Aerodynamische und flugdynamische Auslegung sowie die Entwicklung von Zwischenstufenstruktur, Leitwerkstrukturen, Nutzlastadapter und Zündsystem wurden von MORABA mit Unterstützung des DLR-Instituts für Aerodynamik und Strömungstechnik geleistet", sagt Missionsleiter Frank Scheuerpflug. Der wissenschaftlichen Forschungsgemeinde steht damit ein Trägersystem mit einer Leistungsfähigkeit zur Verfügung, die mittelschweren Nutzlasten den Zugang zu sechsminütigen Mikrogravitationsbedingungen ermöglicht, aber auch für Hyperschall- oder Atmosphärenforschung genutzt werden kann.


Auf den Bildern


Start in die Schwerelosigkeit: An Bord der Höhenforschungsrakete MAPHEUS-7 starteten am 17. Februar 2018 sechs Experimente in die Schwerelosigkeit. Geborgen wurde die Nutzlast am 19. Februar 2018. Nun werden die Daten ausgewertet.


Bergung aus Schnee und Eis: Die Höhenforschungsrakete MAPHEUS-7 mit ihren Experimenten an Bord wurde nach ihrem erfolgreichen Flug vom schwedischen Raketenstartplatz Esrange nahe Kiruna geborgen.


Per Hubschrauber geborgen: Mit dem Hubschrauber flogen die Ingenieure und Wissenschaftler des DLR zur Höhenforschungsrakete MAPHEUS-7, die nach ihrem Flug wie geplant mit einem Fallschirmsystem abgebremst wurde und geborgen werden konnte.


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